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Strampeln für den Lohn
 #respekt

Strampeln für den Lohn – #respekt
by Christoph “Burstup” Weiss

Die Fahrrad-Kuriere mit den riesigen Thermorucksäcken auf dem Rücken gehören zum alltäglichen Stadtbild. Sie sind die neuen Taglöhner, durch die Stadt gejagt von Algorithmen der Apps, ohne soziale Sicherheit, Arbeitsgerät wie Fahrrad, Smartphone und Helm aus eigener Tasche bezahlt und gewartet. Viele Menschen nehmen mehr als nur einen – meist prekären – Job an, sie vermieten neben ihrem eigentlichen Job auch noch ihre Wohnungen oder fahren abends Taxi, um über die Runden zu kommen.

 Die Menschen sollen ihre Arbeitskraft am zunehmend entsicherten Arbeitsmarkt zu immer schlechteren Bedingungen zu verkaufen, damit sie überhaupt irgendetwas kriegen. Das ist die Auswirkung eines immer strenger werdenden Arbeitszwangs-Regimes, das in immer mehr Ländern zum politischen Programm gehört.

Was aber wenn jemand unter diesen Bedingungen nicht mehr kann? Arbeitslose sind eben nicht prinzipiell zu faul für die Arbeit. Die meisten Menschen wollen eigentlich etwas zur Gesellschaft beitragen und dafür einen gerechten Gegenwert erhalten. Das Vorurteil von den Arbeitsscheuen in der sozialen Hängematte ist häufig nicht nur grundfalsch, sondern es ignoriert auch die psychosozialen Folgen der Arbeitslosigkeit.

Wer arbeitslos ist, wird zum einem anderen Menschen
Viele Arbeitslose leiden unter einer Depression, aber die Krankheit wird oft nicht also solche erkannt. Ihr Beginn ist schleichend, die Betroffenen verlieren langsam an Selbstachtung. Es beginnt ein neues, ungewolltes Verhältnis zu Freunden, Bekannten, Nachbarn, ehemaligen Arbeitskollegen. 

Viele Arbeitslose berichten, dass ihr Zeitgefühl verloren geht. Der geistige und körperliche Trainingsverlust führt dazu, dass selbst banale Aufgaben immer anstrengender werden. Die einseitig materiell ausgerichtete Wertwelt unserer Zeit zwingt dem Arbeitslosen Schuldgefühle auf. Es entsteht das Gefühl, ein Mensch zweiter Klasse zu sein. Er oder sie fühlt sich verunsichert und niedergeschlagen, reizbar, aggressiv oder gar feindselig.

Gegensätze in Europa
20 Millionen Menschen in der Europäischen Union haben keinen Job. Damit ist die Arbeitslosigkeit Anfang 2017 zwar auf 9,5 Prozent, also den tiefsten Stand seit Mai 2009, gesunken. Aber in der europäischen Wirtschaft gibt es enorme Gegensätze. In Deutschland liegt die Arbeitslosigkeit bei weniger als 4 Prozent – nach gängigen Standards herrscht dort also „Vollbeschäftigung“. In den Krisenstaaten des Südens schaut es ganz anders aus: In Griechenland ist fast jeder Vierte ohne Job (23 Prozent). In Spanien sind es 18 Prozent.

Ein noch größeres Problem ist die prekäre Situation der 15-24jährigen. 17 Prozent der jungen Menschen in der EU finden keinen Einstieg in den Arbeitsmarkt. Auch hier ist die Situation im Süden Europas am schlimmsten: Fast die Hälfte der jungen Griechinnen und Griechen hat keinen Job, in Spanien und Italien mehr als ein Drittel, in Frankreich und Portugal je rund ein Viertel der jungen Menschen. Nach der Finanzkrise des Jahres 2008 war von einer „verlorenen Generation“ in Südeuropa die Rede. Seitdem haben sich die Zahlen zwar wieder etwas verbessert – doch es gibt keinen Grund zur Euphorie. Massenarbeitslosigkeit kommt nicht aus heiterem Himmel. Ihre Ursachen sind vielfältig.

Die Ursachen prekärer Arbeitsverhältnisse


Systematisches Auseinanderdriften von Arbeitskosten und Löhnen. Die Relation zwischen Nettolöhnen zu Arbeitskosten ist in Österreich auf annähernd 1 zu 2 gestiegen, das heißt: jeder Angestellte kostet den Arbeitgeber das doppelte des Nettolohnes. Steigende Arbeitskosten führen somit direkt zu erhöhter Massenarbeitslosigkeit, was den Arbeitnehmern aber nicht auffällt.

Outsourcing und Automatisierung
Durch Digitalisierung und Roboterisierung werden bis 2020 zwar 2 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen, aber 7 Millionen verloren gehen. Zu diesem ernüchternden Schluss kommt eine 2017 veröffentlichte Studie des Weltwirtschaftsforums. Deutschland, Österreich und die Schweiz zählen zu den best automatisierten Ländern der Welt, kaum irgendwo wird so viel Arbeit von Maschinen übernommen. Wer aber profitiert von der großindustriellen Wirtschaft, die als Resultat des Fortschritts zur Massenarbeitslosigkeit beisteuert? Der Fortschritt trägt nur dann zum Allgemeinwohl bei, wenn die durch Maschinen erwirtschafteten Gewinne an die Gesellschaft weitergegeben werden.

Privatisierung
Viele Privatisierungen in den letzten Jahrzehnten schadeten mehr als sie nützten. Ein Beispiel: Durch den Verkauf der Austria Tabakwerke an den Konzern Gallaher im Jahr 2001 entgingen dem Staat zuerst erhebliche Steuereinnahmen (2000: 25 Millionen Euro), dazu kam der jährliche Dividendenentgang für den Bund (2000: 55 Millionen Euro). Dann – in den Jahren 2005 und 2009 – wurden die Fabriken im Land trotzdem geschlossen und die Arbeitsplätze gingen verloren.

Schlechte Beratung
Unternehmensberater inszenieren sich gerne als Retter in Notsituationen. Aber ein Drittel aller Beratungen geht schief, weil Unternehmen falsche Consulter wählen oder die Projekte schlecht vorbereiten. Mit ihren Powerpoint-Präsentationen bieten die Consulting-Firmen vereinfachte Lösungen für komplexe Prozesse. Mit dem Mythos grenzenloser Kompetenz entlasten sie zwar überforderte Manager und Bürokraten. Nur Verantwortung für ihre Empfehlungen übernehmen sie dann nicht – weder für Firmen, die trotz (oder gerade wegen) der Beratung in den Abgrund rutschen, noch für Angestellte, die durch Umstrukturierung oder Outsourcing ihre Arbeit verlieren.

Generation Praktikum
Mehr junge Menschen als je zuvor gehen unbezahlten oder minderbezahlten Tätigkeiten in ungesicherten Berufsverhältnissen nach. Sie überbrücken potenzielle Lücken im Lebenslauf, indem sie eine Praktikantenstelle nach der anderen annehmen, auch wenn sie eigentlich eine feste Anstellung suchen. Unternehmen nutzen Praktikantenverträge zur Minderung des mit Neueinstellungen verbundenen Risikos, weil sie dann die gesetzlichen Auflagen zum Kündigungsschutz nicht befolgen und Tarifverträge nicht umverhandeln müssen. Manche Unternehmen beschäftigen also hochqualifizierte Praktikanten unter- oder unbezahlt, ohne die Absicht, entsprechende Stellen im regulären Angestelltenverhältnis einzurichten. Zwanzig Prozent der Hochschulabsolventen sind nach ihrem Studium beim ersten Job Praktikanten, geringfügig Beschäftigte oder freie Dienstnehmer.

SORA: Arbeitslosigkeit als Armutsfalle
bit.ly/2zsxQnl

Psychosoziale Folgen der Arbeitslosigkeit (Studie)
bit.ly/2yGeKLC

Verein Aktive Arbeitslose
aktive-arbeitslose.at

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