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Das Paradoxon der Ungleichheit

In fast allen Ländern der Welt nimmt die Ungleichheit beim Einkommen zu. Während im Vorjahr die 62 Reichsten noch so viel hatten wie die ärmsten 3,7 Milliarden, reichten dafür 2017 bereits die acht Reichsten (Quelle: Oxfam). In Europa und Nordamerika sind die realen Einkommen vieler Arbeitnehmer in den vergangenen 25 Jahren kaum gestiegen, an der Spitze dagegen ging es kräftig nach oben.

Ökonomen betonen immer wieder, dass es wichtig ist, die globalen Zusammenhänge dieser Entwicklung zu verstehen – zum Beispiel der auf Verteilungsökonomie spezialisierte Professor Branko Milanovic von der City University of New York.

Ausgangspunkt für den schon knapp 200 Jahre dauernden Anstieg der globalen Ungleichheit war die industrielle Revolution.  Sie brachte den westlichen Ländern Reichtum, während etwa China und Indien arm blieben. Man kann also auch sagen: Die sogenannte Dritte Welt wurde zum globalen Proletariat und die industrialisierte Welt zur globalen Bourgeoisie.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts war es wichtig, welcher sozialen Klasse man angehörte – doch später verschob sich das zunehmend auf den Wohnort. In Zukunft könnte sich das wieder ändern. Weil die Menschen in Schwellenländern wie Indien und China mehr Wohlstand erreichen, sinkt ab 2050 die globale Ungleichheit auf das Niveau des frühen 20. Jahrhunderts.

„Insgesamt ist die Welt heute ökonomisch betrachtet aber ein gerechterer Ort als früher“, sagt Professor Milanovic. „Ein Teil der Menschheit ist ärmer geworden, aber ein sehr viel größerer ist reicher geworden. Allerdings nimmt kaum jemand diese kosmopolitische Sichtweise ein, weil die Menschheit in Staaten organisiert ist.“

Durch die sinkende globale Ungleichheit wird es in Europa und auch überall anders wieder wichtiger, welcher sozialen Klasse man angehört. Sprich: Die Mittelschicht schrumpft in fast allen Ländern der Welt. Die Menschen in den Industrieländern, die aufgrund von Globalisierung und Outsourcing ihre Jobs verlieren, geben sie an Menschen in den Schwellenländern ab.

Zwar sind Bewohner der Industrieländer immer noch reicher als die von Schwellenländern, sie müssen aber stagnierende Einkommen hinnehmen. Zu den Gewinnern gehören nämlich hauptsächlich die Reichen im Westen. Deren Einkommen wachsen durch die Globalisierung. Daraus ergibt sich die paradoxe Situation der Gegenwart: Global gesehen sinkt die Ungleichheit, innerhalb der Nationen wächst sie.

Die Ungleichheit in Europa und Nordamerika erreicht jetzt ein Ausmaß, das wichtige Errungenschaften gefährdet. Früher Normalverdienende sind von medizinischer Versorgung ausgeschlossen, können sich keine Universitätsausbildung mehr leisten oder müssen Abstriche bei Wohnen und Mobilität machen. Eine einfache Lösung für diese Problematik gibt es nicht. Man kann einem Menschen, der in den USA oder in Europa seinen Job verloren hat, ja nicht sagen: „Den Menschen in Indien geht es eh noch viel schlechter.“

Mit der Globalisierung ging in den vergangenen Jahren auch stärkere Deregulierung einher. In Zeiten globaler Märkte trauen sich viele Staaten nicht mehr, Kapital stärker zu besteuern, weil sie fürchten, dass es dann abgezogen wird. Aber in Ländern, in denen die Mittelschicht erodiert, nehmen Alkoholismus und die Selbstmordrate bedrohlich zu. Radikale Parteien und extremistische Bewegungen erhalten Zulauf, der Ruf nach dem „starken Mann“ wird lauter.

Der Westen ist auf dem Weg in die Plutokratie. Wir müssen das Problem der steigenden Ungleichheit in den Industrienationen lösen. Ein Schlüssel dafür ist Bildungsdurchlässigkeit, damit die Kinder der Ärmeren nicht automatisch ebenfalls arm werden. Bildung muss also unabhängig der finanziellen Mittel sichergestellt sein.

Diese Länder müssen außerdem beginnen, die oberen Einkommensschichten stärker zur Kassa zu bitten. Steuern sollten nicht die ohnehin zu stark belastete Mittelschicht treffen, sondern die Bestverdienenden – etwa in Form der Kapitalertragssteuer. Und letztlich müssen die Industrieländern noch stärker auf Innovation setzen – vor allem in Bereichen, in denen eine rückwärtsgewandte Politik unseren eigenen Lebensraum zerstören würde. Neue Lösungen hinsichtlich Mobilität und sauberer Energie sind nicht nur dringend notwendig, um das Überleben der Menschheit zu sichern, sondern sie schaffen auch Arbeitsplätze.

Branko Milanovic
https://www.gc.cuny.edu/stonecenter/Branko-Milanovic

Oxfam:
https://www.agenda-austria.at/die-oxfam-methode-wer-lauter-schreit-kriegt-eher-recht-video )

 

 

 

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